Home Das Geheimnis der
braunen Schlieren
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In vielen Nf-Endröhren, Zeilenendpentoden und Boosterdioden von Fernsehern treten seltsame braune bis bläulich-schwarze Schlieren in der Glaswandung auf.

Woher kommen die braunen Schlieren in den Kolbenwandungen?

Es handelt sich um den gleichen Effekt, wie mit den Bleibäumen in den Quetschfüssen. Diese entstehen durch elektrolytische Zerlegung des Glases.

Kolbengläser für diese Röhren enthalten zum Grossteil Siliziumdioxid, Alkalioxide und bis zu 30 % Bleioxid. Weitere Zusätze sind in geringen Mengen vorhanden. Ein hoher Anteil von Bleioxid sorgt übrigens auch dafür, dass auftretende Röntgenstrahlung reduziert wird.

Für das Auftreten der Glaselektrolyse sind schnelle Elektronen erforderlich. Die gibt es besonders bei hohen Spannungen. Schnelle Elektronen treten auch bei geringeren Spannungen auf, nur dauert der Vorgang wesentlich länger. Für die Glaselektrolyse spielen Sekundärelektronen keine Rolle, weil sie zu langsam sind; sie kehren wieder in das System zurück. Bei bestimmten Systemanordnungen kann es sein, dass ein Teil der schnellen Elektronen an der Anode vorbei fliegt und auf die Glaswand trifft. Da die Glaswand ein schlechter Leiter ist, sammelt sich hier eine starke negative Ladung und verbleibt längere Zeit dort. Innerhalb des Glases baut sich eine elektrische Spannung auf, die es elektrolytisch zerlegt. Dabei wird Blei ausgefällt, das kristallin wächst. Ausserdem entsteht Sauerstoffgas, das in der Glaswand verbleibt, oder problemlos vom Getter aufgenommen wird.      Foto: Wolfgang Holtmann

Wie entstehen die seltsamen Formen der Verfärbungen?

Bei flachem Auftreffwinkel der Elektronen gibt es fächerförmige Braunfärbungen (von der Kathode weg), bei senkrechtem Aufprall dunkle kräftige Streifen. Diese Verfärbungen sind praktisch ein Abbild der Ladungsverteilung im Kolbeninneren. Da die schnellen Elektronen durch Ladungen in der Umgebung in ihrer Flugbahn beeinflusst werden, ist die Lage der Verfärbungen nicht genau vorhersagbar. Ausserdem verändert der geringste Oberflächenschmutz auf der Kolbenwandung schon die elektrische Isolationsfähigkeit. Ich habe noch keine zwei gleichartig verfärbten Röhren gesehen. Die Bleiblumenbildung kann man wegen der komplexen Entstehungsbedingungen als chaotisch bezeichnen; sie erinnert stark an die berühmten Mandelbrot-Fraktale.

Foto: Wolfgang Holtmann

Grossbuchstabe A
Grossbuchstabe B

Foto: Wolfgang Holtmann

Welche Auswirkungen hat das auf die Funktion der Röhren?

Bleiausfällungen haben innerhalb von Quetschfüssen oder Presstellern folgende negative Auswirkungen. Dass durch die Bleibäume zwischen den Drahtzuführungen der Isolationswiderstand nachlässt ist relativ selten und kommt bei neueren Röhren wegen der besonderen Glassorten nicht mehr vor. Das grösste Problem ist aber die Veränderung des Glases selbst. Die verschiedenen Stellen erhalten unterschiedliche Wärmeausdehnungskoeffizienten; das Glas kann schlimmsten Falls reissen. Das wurde bisher aber nur in Quetschfüssen beobachtet. In der Kolbenwandung haben die Bleibäume keine negativen Auswirkungen, ausser, dass die Röhre nicht mehr so gut aussieht. Die Betriebsfähigkeit bleibt uneingeschränkt. Bis die Glaswand gefährdend zersetzt ist, dürfte die normale Lebensdauer der Röhre schon mehrfach überschritten sein.

Das Wandern von Ladungen.

Die Ladung verbleibt nicht an der gleichen Stelle, sondern versucht abzufliessen, sich zu neutralisieren. Das dauert bei einem schlechten Leiter sehr lange. Ganz entladen kann sie sich nicht, weil ja ständig neue Elektronen nachkommen.

Wo die Kanten der Glimmerscheiben an die Kolbenwand stossen, sind oft sehr starke elektrolytische Erscheinungen zu beobachten. Die schnellen Elektronen die auf die Glimmerscheibe treffen, verdrängen sich gegenseitig und wandern nach aussen ab. So ist an den Kanten ein ständiger Nachschub von Elektronen vorhanden.

Grossbuchstabe B Beweis für das Vorhandensein von Ladungserscheinungen.

In einer alten PD 500 befinden mikroskopisch feine Risse, die schon während der Betriebszeit bestanden. Das Vakuum ist intakt und die Röhre ist stabil.

Das Bild zeigt in der Kolbenwand einen feinen Haarriss, an dessen Kanten sich sehr feine Bleibäumchen ausbreiten. Elektrische Ladung ordnet sich mit Vorliebe an Kanten und Spitzen an.

Foto: H.-T. Schmidt

Graphitbeschichtung als Schutz?

Viele grössere Röhren der 30er- und 40er-Jahre wurden auf der Kolbeninnenseite mit Graphit beschichtet. Die statische Aufladung der Kolbenwand wäre sonst so stark, dass der Elektronenflug innerhalb des Systems unkontrollierbar beeinflusst würde. Als die Röhren dann in den Abmessungen stark verkleinert wurden, war das Graphitisieren nicht mehr nötig.

Ein Beispiel für eine innen mit Graphit beschichteten Röhre ist die EL 11.

Foto: H.-T. Schmidt

Grossbuchstabe C
Grossbuchstabe C Anmerkung zur oben gezeigten PL 504: Im Bereich der unteren Glimmerscheibe, die das System trägt, ist auf der Aussenseite ein Ring aus metallischen Blei aufgetragen. Dieser soll offensichtlich austretende Röntgenstrahlung abschirmen.

Literaturhinweise:
Glaszusammensetzung: Werkstoffkunde der Hochvakuumtechnik, Band II, Werner Espe, Seiten 1...24.
Hochvakuumtechnik, Prof. Dr. G. C. Mönch, Seiten 38...44

Glaselektrolyse: Werkstoffkunde der Hochvakuumtechnik, Band II, Werner Espe, Seiten 118...121

Foto: Wolfgang Holtmann


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